Freiheit auf vier Rädern ...wie lange?

Meinen Führerschein erwarb ich im Jahre 1938 in Friedrichsstadt an der Eider. Fahrschule in einem alten Adler-Kabriolett, Lenkrad rechts und Gangschaltung rechts außerhalb der Tür. Um das Anfahren am Berg zu erlernen, mußten wir von der Marsch in die Gest fahren, weil bei uns zu Hause ja alles platt ist wie ein Teller.
Gehörte die Beweglichkeit auf vier Rädern seitdem zu meinem Lebensgefühl?
Durchaus, und darin werden mir viele zustimmen. Die Mobilität mit dem Auto war zumindest ein Teil meines Lebensgefühls, eine Freiheit auf vier Rädern.
Allerdings kam 1938 zuerst der Krieg, und da war auf den schlammigen Rollbahnen in den Weiten Rußlands nicht viel von Freiheit zu verspüren.
Aber danach folgten nach einem grauen Käfer in dem ersten Jahr meiner Praxis verschiedene größere VW-Typen, endlich bei größer werdender Familie auch einmal ein kleinerer Mercedes, im Urlaub mit einem kleinen Reisewohnwagen im Schlepp. Und zuletzt auf unsere alten Tage reichte ein kleiner gelber Smart für den Stadtverkehr, er fand überall einen Parkplatz.
Aber von dem habe ich mich nun getrennt, freiwillig, bevor ein Unfall uns geschieden hätte. Nicht ganz so freiwillig, denn das war schon ein Abschied!
Ein längeres Zureden und Drängen unserer Kinder, auch meiner Ehefrau, war vorausgegangen. Der Abschied ist mir nicht leicht gefallen, auch darin wird mir mancher zustimmen, der den gleichen Schmerz empfunden hat, auch wenn der Verstand sagt, es muß sein, es wird Zeit, daß du dich in deinem hohen Alter von den vier Rädern trennst.
Was ist nun mit meinem Lebensgefühl? Es gibt Tage, nach einem durchwachsenen Sommer mit dem vielen Regen, an denen ich mich nicht so gut fühle und an bessere Zeiten, auch an unseren freundlichen gelben Smart zurückdenke. Es gibt Stunden, da sitze ich in Gedanken wieder am Lenkrad. Und ein leichter Druck auf den Gashebel bringt mich schnell und mühelos an einen anderen Ort.
Aber ich sollte nicht immer zurückdenken an das was infolge des Alters nicht mehr geht, sondern an das, was noch möglich ist. Und da bin ich mit vier Rolli-Rädern noch relativ mobil, habe sogar an einem sonnigen Tag mithilfe unserer Kinder den Wind, die Wellen und die klare Nordseeluft genossen - natürlich zwischendurch gemischt mit Erinnerungen an Urlaubszeiten, wo wir uns jung und lebensfroh in die Brandung hineinwarfen, auch zurückdenkend an Naturerlebnisse, die so überwältigend waren, daß uns Gottfried Kellers “Trink Auge, was die Wimper hält, vom gold’nen Überfluß der Welt’n” in den Sinn und über die Lippen kam.
Und noch ein paar Verse fallen mir dazu ein, die schenkte mir unsere Tochter zu einem Geburtstag: “Gedanken über die Zeit, die Gebende und die Nehmende und über die Schönheit des Augenblicks”.
Während ich diese Zeilen schreibe, hoffe ich noch auf einen goldenen Oktober. Aber dann folgt der meist trübe November und die Gedanken an das Älterwerden lassen sich nicht mehr verdrängen, besonders nicht an ernsten Feiertagen, die uns an die Begrenzung des Lebens erinnern.
Ich wünsche uns Alten, daß uns bei Verminderung unserer Kräfte genügend Zeit gelassen wird, daß Zeit bleibt für die Gewöhnung an eine neue Lebensstufe. Und solange es möglich ist, möchte ich meine Freiheit mit vier Rollirädern dankbar genießen. Allen, die ohne Gehhilfe unsicher sind, rate ich, sich eine eventuelle Eitelkeit abzuschminken und rechtzeitig auf den Rolli umzusteigen - bevor sie auf einer Unfallstation viel Zeit haben, über dieses Thema nachzudenken.

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